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Die Auswirkungen von Chemiewaffen-Einsätzen auf Frauen und Kinder in Syrien –Deutschland und Kanada thematisieren in gemeinsamer Veranstaltung das Leid der Opfer

14.12.2021 - Artikel

Am 26. November 2021 fand eine von Deutschland und Kanada gemeinsam organisierte Diskussionsveranstaltung zu den Auswirkungen von Chemiewaffen-Angriffen auf Frauen in Syrien statt. Die virtuelle Veranstaltung wurde am Rande der 26. Vertragsstaatenkonferenz und anlässlich des Gedenktages für alle Opfer chemischer Waffen durchgeführt und verfolgte das Ziel, die Auswirkungen von Chemiewaffen-Angriffen auf einzelne Menschen und ganz besonders auf Frauen und Kinder sichtbar zu machen. Gudrun Lingner, Botschafterin Deutschlands bei der OVCW, und die kanadische Botschafterin Lisa Helfand betonten eingangs wie wichtig es sei, den betroffenen Frauen Gehör zu verschaffen. Frauen und Kinder würden im syrischen Bürgerkrieg überproportional häufig Opfer von Chemiewaffen, und die Folgen für die jeweiligen Familien sind gravierend. Die Angriffe auf Frauen und Kinder seien zudem häufig der sprichwörtliche Tropfen der das Fass zum Überlaufen bringt und die Entscheidung der Familie zur Flucht auslöst. „Es besteht ein unbestreitbarer Zusammenhang zwischen Chemiewaffen-Einsätzen und Fluchtbewegungen“, sagt Botschafterin Lingner, die in ihrer Eröffnung auch betonte, dass wir unsere Augen vor dem nach wie vor andauernden Leid in Syrien nicht verschließen dürften. Chemiewaffen-Einsätze in Syrien forderten die internationale Gemeinschaft und die OVCW heraus, aktiv für die Einhaltung des Chemiewaffenübereinkommens zu kämpfen, damit wir uns unserem Ziel, eine Welt frei von Chemiewaffen zu schaffen, annähern können.

Botschafterin Gudrun Lingner
Botschafterin Gudrun Lingner© Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der OVCW

Sanam Naraghi Anderlini, Gründerin und Geschäftsführerin des International Civil Society Action Networks, moderierte die Veranstaltung, in deren Fokus syrische Frauen standen, die Chemiewaffen- Angriffe überlebt haben. Diese Frauen teilten ihre ergreifenden, schockierenden Geschichten mit den ZuhörerInnen und riefen dazu auf, nicht zu vergessen. Sie berichteten, was es bedeutet, einen Chemiewaffen-Angriff am eigenen Leibe erleben zu müssen und wie sich ihr Leben danach verändert hat. So beschrieb z.B. Umm Mahmoud, die 2014 einem Chemiewaffen-Angriff zum Opfer fiel, wie dieses Ereignis zu einem Wendepunkt im Leben ihrer Familie wurde: War sie vorher jahrelang felsenfest entschlossen, während des Bürgerkrieges mit ihrer Familie in ihrer Heimatstadt Kafr Zayta zu bleiben, beschloss sie nach dem Chemiewaffen-Angriff schweren Herzens, in ein Flüchtlingslager zu ziehen, da sie fühlte, ihre Kinder einer solchen Gefahr nicht länger aussetzen zu können. Die Unberechenbarkeit und Heimtücke eines Chemiewaffen-Angriffes zeigt sich auch in einem Dilemma, das die Opfer der Angriffe vor unlösbare Fragen stellt: Sucht man vor dem Bombardement Schutz im Keller, um sich vor den herkömmlichen Bomben und Trümmerteilen zu schützen, oder steigt man aufs Dach, um dem freigesetzten herabsinkenden Chlorgas zu entfliehen?

Umm Mahmoud wurde in einer solch unübersichtlichen Situation nach einem Angriff mit Giftgas und im Zuge der daran anschließenden notdürftigen medizinischen Versorgungsmaßnahmen von ihren Kindern getrennt und war eine gefühlte Ewigkeit im Ungewissen, ob sie noch am Leben waren. Traumatisch war für Umm Mahmoud auch die Zeit, die sie nach dem Chemiewaffen-Angriff auf einer Intensivstation in der Türkei verbrachte, wo ihre Nachbarin aus Kafr Zayta an den Folgen der giftigen Chemikalien verstarb. Nach den tiefgreifenden und folgenschweren Ereignissen im Zusammenhang mit dem Giftsgas-Angriff war für Umm Mahmoud klar, dass sie ein solches Risiko um keinen Preis mehr in Kauf nehmen konnte und sie nach jahrelangem Ausharren mit ihrer Familie ihre Heimat verlassen musste.

Umm Mahmouds Erzählungen, sowie die Aussagen einer weiteren Zeitzeugin wurden von der Studie „The Last Straw: How Chemical Weapons Impact Women and Break Communities“, die Inji El Bakry vom Global Public Policy Institute (GPPi) präsentierte, wissenschaftlich untermauert. Beide Zeitzeuginnen schilderten, dass die Ersthilfe nach den von ihnen erlebten Chemiewaffeneinsätzen sie erst mit großer Verspätung erreichte und nicht auf ihre besonderen medizinischen Bedürfnisse eingestellt war. Diese Problematik ist nach Erkenntnissen von GPPi leider fast immer nach Giftgasangriffen in Syrien zu beobachten. Inji El Bakry legte dar, dass Frauen überproportional häufig von Chemiewaffen-Angriffen betroffen sind und vermehrt mit langfristigen physischen wie psychischen Belastungen zu kämpfen haben. Weibliche Opfer der Angriffe warteten aufgrund von kulturellen Hemmnissen nach einem Chemiewaffen-Anschlag auch länger auf medizinische Versorgung, da die überwiegend männlichen Pflegekräfte befangen sind, die Opfer auszuziehen und mit Wasser abzuspülen. Zudem seien auch besondere medizinische Komplikationen für schwangere Frauen festzustellen sowie langfristige Folgen für die Fruchtbarkeit der Frauen.

Frauen haben eine zentrale Rolle in der syrischen Gesellschaft. Sie sind diejenigen, die Familien und Gemeinschaften zusammenhalten und große Lasten im Alltag tragen. Gleichzeitig sind Frauen aber insbesondere im Hinblick auf Chemiewaffen-Angriffe extrem verletzlich, da diese Angriffe häufig hinter den Kampfeslinien erfolgen, genau dort, wo sich die Frauen mit den Kindern und Alten aufhalten. Dies ist von den Tätern intendiert, um die Wirkung der Angriffe zu erhöhen. Inji El Bakry formulierte es so: „Wenn man Frauen angreift, trifft man den Kern der Gemeinschaften und untergräbt die Widerstandsfähigkeit einer ganzen Gesellschaft.“

GPPi ist ein in Berlin ansässiger Think Tank, der weitreichende Forschung auf dem Gebiet des Einsatzes von Chemiewaffen in Syrien betrieben hat. So erschienen neben der im Februar 2021 veröffentlichten Studie „The Last Straw“ unter anderem die Studien „Nowhere to Hide: The Logic of Chemical Weapons Use in Syria“ sowie „Munitions Typology: Chemical Weapons Deployed in the Syrian War“. Die Arbeit und Forschung von GPPi ist für die OVCW höchst relevant und gewinnbringend. Daher ist es umso bedauerlicher, dass einzelne Vertragsstaaten die Teilnahme von GPPi an der diesjährigen Vertragsstaatenkonferenz verhindert haben.

Hier finden Sie den Link zur Videoaufzeichnung.

Screenshot des Side-Events
Screenshot des Side-Events© Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der OVCW

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